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Tiermedizin: Die Brücke zwischen Theorie und Praxis

16.07.2024

Im VetSkillsLab der LMU München können Tiermedizinstudierende ihre Fertigkeiten verfeinern – manchmal auch mithilfe eines modifizierten Stofftiers als Trainingspartner.

Tierärztin Dr. Sonnewald-Daum und ihre Studierenden im Kompaktkurs Wiederkäuer.

Tierärztin Dr. Sonnewald-Daum und ihre Studierenden im Kompaktkurs Wiederkäuer. | © LMU

„Wo hörst du das ab? Kannst du mal das Stethoskop dort hinlegen?“, fragt Tierärztin Dr. Sonnewald-Daum ihre Kursteilnehmerin Esther Zimmermann. Die Studentin der Tiermedizin setzt der Modellkuh „Bella“ ganz gekonnt das Stethoskop an die linke seitliche Bauchwand und imitiert das Abhören der Pansenmotorik.

Sonnewald-Daum beobachtet den Vorgang und hinterfragt Esthers Arbeitsschritte genau. Im Kompaktkurs Wiederkäuer werden typische Krankheitsfälle am Tier trainiert. Und das ganz ohne Kuhstall und lebendige Patienten.

Nur wenige Meter vom Englischen Garten entfernt liegt das VetSkillsLab – ein praktisches Trainingscenter für alle Tiermedizin-Studierenden und Auszubildenden in der Tierpflege der LMU. Hier kann das theoretisch erworbene Wissen aus dem Studium und der Ausbildung an mittlerweile weit über 100 Simulationsmodellen praktisch umgesetzt, verbessert und wiederholt werden.

Ohne Zappeln und ohne Stress

Das Angebot ist groß – neben typischen Haus- und Nutztiermodellen von Hunden, Katzen, Mäusen, Schweinen, Rindern und Pferden gibt es auch exotischere Modelle wie Schlangen und Schildkröten. Somit kann so gut wie jede oft angewandte Technik, wie zum Beispiel das Legen eines Venenkatheters oder auch die künstliche Besamung, geübt werden.

Im Fokus des VetSkillsLabs stehen das Erlernen und Trainieren sogenannter „Day One Competences“. Es werden also vor allem die Fertigkeiten geübt, die Tiermedizinstudierende nach Abschluss des Studiums am ersten Tag im Beruf praktisch beherrschen sollten. Die Studierenden sind froh über das VetSkillsLab, „da man viele Dinge ausprobieren und nichts kaputt machen kann“, so Studentin Esther Zimmermann.

Dr. Bukenberger, eine der Leiterinnen und Mitgründerinnen des VetSkillsLabs, erinnert sich: „Als ich studiert habe, gab es keine solche Einrichtung, und wir hatten diese Übungsmöglichkeiten nicht. Man lernte die Theorie und traf irgendwann mal auf ein Tier.“ Das VetSkillsLab schließt diese Lücke nun.

Studierende können verschiedenste Praktiken am Modell durchführen und mehrfach üben – „an einem Modell, das nicht zappelt, ganz in Ruhe ohne diese ganzen Stressfaktoren, die im echten Leben dazukommen“, wie Bukenberger erklärt. „Es ist sicherlich nochmal etwas anderes wirklich am Tier zu arbeiten“, stellt Tiermedizinstudentin Malin Hanselmann fest. „Aber ich denke, es ist eine gute Möglichkeit, die Brücke zu schaffen zwischen Theorie und Praxis.“

  1. Modell eines Schweins
  2. Modell zur Butabnahme
  3. Modell eines Hasen
  4. Hautmodell

Umfunktionierte Dekofigur dient als Schweinemodell.

© LMU

Modell zur venösen Blutentnahme am Kleintier

© LMU

Das Modellangebot reicht von typischen Haus- und Nutztiermodellen bis hin zu exotischeren Modellen wie Schlangen und Schildkröten.

© LMU

In der Werkstatt eigens hergestellte Hautmodelle

© LMU

Das Tierwohl vor Augen

Das Durchführen von bestimmten Übungen, wie beispielsweise das Legen von Venenkathetern oder das Rektalisieren, an lebenden „Übungstieren“ durch zahlreiche Studierende ist aus Tierschutzgründen nicht vertretbar. Die ausgiebigen Übungsmöglichkeiten an Modellen und Simulatoren im VetSkillsLab geben allen Studierenden die Möglichkeit, an ihren praktischen Fertigkeiten zu feilen, ohne das Tierwohl zu gefährden.

„Man kann kein Tiermedizinstudium absolvieren, ohne dass man an lebenden Patienten gelernt hat. Wir können das Arbeiten am lebenden Tier nicht komplett ersetzen, das wäre ein unrealistisches Ziel, aber wir können dem 3R-Prinzip dienen, indem wir die Anzahl der notwendigen Tierversuche reduzieren“, erklärt Bukenberger.

Im Sinne des 3R-Prinzips des Tierschutzes können Tierversuche durch das VetSkillsLab in der tierärztlichen Ausbildung zwar nicht ganz ersetzt (R = replace), jedoch auf ein Minimum reduziert werden (R = reduce). Außerdem kann die Belastung der zu behandelnden Tiere auf ein unerlässliches Mindestmaß beschränkt werden (R = refine), da Studierende durch das Üben am Modell selbstsicherer und routinierter in der Ausführung der Praktiken werden. Die Studierenden profitieren davon, dass sie nach den Übungen an den Modellen sicherer agieren. Die erste Behandlung in der Praxis sei dennoch herausfordernd, aber der Druck für die Studierenden ist deutlich reduziert und damit auch die Belastung für das behandelte Tier.

Mit professioneller Unterstützung selbstständig lernen

Tutor Jannes Petereit am Pferdemodell

Tutor Jannes Petereit am Pferdemodell | © LMU

Das Kursangebot reicht von zweistündigen Kompaktkursen bis hin zu mehrwöchigen Wahlpflichtfächern. „Gerade in den Wahlpflichtfächern versuchen wir dabei auch Themen abzudecken, die sonst im Studium zu kurz kommen, beispielsweise die Kommunikation mit Patientenbesitzerinnen und -besitzern“, so Leiterin Bukenberger.„Einige Inhalte können dabei im Selbststudium erlernt werden. Zur Unterstützung sind aber immer Tutorinnen und Tutoren oder Tierärztinnen und Tierärzte mit dabei, die den Kurs leiten.“

Um den Übungsbedarf an tierärztlichen Fertigkeiten decken zu können, reicht das Angebot an Simulationsmodellen auf dem kommerziellen Markt bei Weitem nicht aus. „Deswegen sind wir vor einigen Jahren dazu übergegangen, Modelle in unserer Werkstatt zu modifizieren oder gar selbst zu entwickeln“, erzählt Leiterin Bukenberger.

So werden ganz nach Anforderungen der Übungen die Techniken sowohl an umfunktionierten Stofftieren und Dekofiguren wie auch an kommerziellen Modellen durchgeführt. Um dem aktuellen Stand der Forschung gerecht zu werden, wird das Angebot im engen Kontakt mit den verschiedenen tierärztlichen Fachkliniken der Fakultät laufend weiterentwickelt.

Seit Eröffnung des VetSkillsLabs im Jahr 2018 wächst das mittlerweile 17-köpfige Team stetig weiter. Bukenberger berichtet begeistert: „Vor kurzer Zeit haben wir auch eine Bildhauerin eingestellt, die uns bei der Entwicklung der Modelle unterstützt.“ Das VetSkillsLab erhält in Evaluationen von den Studierenden durchweg sehr gutes Feedback. „Das ist natürlich für uns immer eine große Motivation! Zudem ist die enge Zusammenarbeit mit den Kliniken für alle gewinnbringend, weil die Studierenden im VetSkillsLab auf die Praxis in den Kliniken vorbereitet werden“, erzählt die Leiterin zufrieden.

Kompaktkurs Wiederkäuer

Tierärztin Dr. Sonnewald-Daum und die Teilnehmerinnen des Kompaktkurses "Wiederkäuer"

© LMU

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